Tourenbericht Bergsteigen

Basiskurs Gletscher/Hochtour Pitztal – 2023

„S’isch wurscht wie dick s’Brot isch, solang d’Wurscht so dick wie’s Brot isch!“

 

Freitag, 4:15 Uhr. Der Wecker klingelt schrill und unbarmherzig. Snoozen ist nicht. Aufstehen, anziehen. Kühlschrank auf, Verpflegung raus, Rucksack zu, Schnallen fest, Stiefel an. Los gehts. In aller Herrgottsfrüh ist um 4:45 Uhr Treffpunkt am B12. Zwischen verschlafenen Gesichtern zwei hellwache, bestens gelaunte Augenpaare – Frank und Markus unsere DAV-Leiter und Fahrer. Nach wenigen Stunden der erste Boxenstopp in Kempten, um zwei „Neigschmeckte“ DAV’ler einzusammeln. Weiter geht’s, der Berg ruft!

Nach ungefähr vier Stunden Fahrt, endlich Ankunft im Pitztal. Die Aufregung steigt. Der Zustieg hat es in sich. Wem hier der Schweiß noch nicht in Strömen fließt, der wird von Frank und Markus mit Zusatzgepäck in Form von Seilen beladen – keine Gnade für die Wade. Vorbei an tosenden Wasserfällen, über Altschneefelder und zerklüftete Felsen zieht sich der Weg, der gleichzeitig eine Etappe des E5 darstellt, bis hin zur Braunschweiger Hütte auf 2.760m. Im letzten Teilstück treffen wir endlich auf Schnee! Ob es dabei jedoch ratsam ist, hochmotiviert wie Frank – the machine – eigene Spuren im Tiefschnee zu hinterlassen und dort zu gehen, wo noch keiner vor ihm gegangen ist, sei dahingestellt.

Nach einer kurzen, aber wohltuenden Mittagspause und dem Beziehen unserer gemütlichen Kojen, geht es endlich Richtung Gletscher. Mit vollem Körpereinsatz werden T-Anker verbuddelt und zum Leidwesen der Trainer bei der Belastungsprobe direkt wieder herausgezogen. Die dabei entstandenen Videos sind für die Schaulustigen zwar höchst unterhaltsam, hinterlassen jedoch ein mulmiges Bauchgefühl. Dank Schwarmintelligenz wird glücklicherweise schnell eruiert, wo der Fehler lag: „Verdichten“ ist des Rätsels Lösung. Das Schneegestöber um uns herum scheint dies jedoch etwas zu wörtlich zu nehmen, man sieht kaum mehr die Hand vor Augen, sodass die Zeichen auf Abbruch und Rückkehr zur Hütte stehen. Schon am nächsten Tag sollen erneut die Anker geworfen werden – Versuch Nummer zwei verspricht Erfolg. Nach der Rückkehr zur Hütte und einer intensiven Einheit zum Thema Knotenkunde gibt es endlich etwas zwischen die Kiemen – Käsespätzle satt, lecker!

Samstag, 6:15 Uhr. Der Wecker klingelt weniger schrill und unbarmherzig. Entspanntes Frühstück, danach gemächlicher Abmarsch. Geplant ist eine kleine Wanderung und Runde zwei in Sachen T-Anker. Die Erfolgsquote liegt deutlich höher – Frank und Markus sind zufrieden. Wir wagen uns also an den nächsten Schritt, die „lose Rolle“. Nach kräftezehrendem Einsatz und kognitiver Vollbelastung dürfen wir zur Belohnung „rutschen“ gehen. Aber halt, wir sind doch nicht zum Spaß hier! Natürlich gehört auch das „professionelle Rutschen“ zum Überleben im hochalpinen Gelände. Vorwärts, rückwärts, kopfüber – alle Manöver werden für den Ernstfall geprobt. Wir jauchzen wie kleine Kinder und fühlen uns großartig. Zum Abschluss der Einheit lernen wir das Gehen in Seilschaften und wandern ein Stück am Gletscherrand entlang. Zuletzt heißt es jedoch nochmals alle Kräfte bündeln, wir lernen uns abzuseilen und prusiken danach am Fixseil wieder nach oben. Den Rückweg zur Hütte organisieren wir selbstständig, teilen uns in Seilschaften ein und verstauen das Material – wir fühlen uns wie Große und haben uns die anschließende „Piccata Milanese“ aber sowas von verdient.

Nach dem Essen und einer sehr kurzen, sehr kalten Dusche treffen wir uns zur nächsten Theorieeinheit. In zwei Gruppen konkurrieren wir um die Planung der besten Hochtour für den nächsten Tag, denn dafür sind wir schließlich hier. Das Resultat steht fest, alle sind Gewinner. Dennoch soll es der „Linke Fernerkogel“ werden, wetter- und witterungsbedingt

 

(scheiß Klimawandel!) ist die „Innere schwarze Schneide“ nämlich leider raus. Die wichtigsten Erkenntnisse dabei: Nicht nur auf eine akribische Planung kommt es an, auch die Bedingungen vor Ort sind entscheidend – die Natur und die Berge bleiben stoisch, wir hingegen sind es, die sich anpassen müssen. Ein lehrreicher Tag geht zu Ende und die Vorfreude auf die kommende Hochtour ist uns selbst unter den Gletscherbrillen anzumerken – wir sind sowas von ready!

Sonntag, 5:30 Uhr. Der Wecker klingelt weder schrill noch unbarmherzig, da wir bereits vor ihm wach sind. Tourentag – endlich! Schnelles Frühstück, Rucksack geschnürt und auf geht’s, wir wollen schließlich den Schnee unter unseren Steigeisen knirschen hören. Unweit der Hütte dann der erste Halt, Seile raus, einbinden, Steigeisen an, Eispickel in die Hand. Fränk gibt einen kurzen Theorieinput zum Gehen mit Steigeisen – easypeasy. Die ersten Meter sind ein Hochgenuss, endlich fester Firn unter unseren Füßen. Beim Aufstieg müssen die Seilschaften erst einmal ein gemeinsames Lauftempo finden und sich aneinander anpassen. Doch mit jedem Höhenmeter grooven wir uns mehr ein. Kurze Pause. Jacke aus. Puh. Schnell noch mal Sonnencreme geschmiert. Es geht weiter. Wir schwitzen. Wir schnaufen. Blick nach oben, noch so weit. Blick nach unten, steil fällt die Flanke neben uns ab. Kurze Pause. Pulli auf. Puh. Die Spuren der Seilschaften vom Vortag werden tiefer, die Sonne wandert höher, der Schnee wird sulziger. Wir werden langsamer. Neben uns ein ver(w)irrter Käfer im Schnee. Er schaut uns mindestens so bescheuert an, wie wir ihn – irgendwie passen wir beide nicht hierher. Doch aufgegeben wird nicht. Die raue Natur um uns, die Erkenntnis der Nichtigkeit unseres Seins inmitten der stummen Felsgiganten, die wir zu bezwingen versuchen, lässt uns ehrfürchtig innehalten. Bald haben wir es geschafft. Von oben hören wir ermutigende Zurufe der Seilschaften vor uns. Nur noch wenige Meter. Das Gipfelkreuz rückt näher und es scheint als verleihe der Anblick nochmals drei PS mehr. Endlich! Da ist er, der Gipfel! Jede ankommende Seilschaft wird überschwänglich begrüßt, wir liegen uns in den Armen und auf dem Boden. Sauerstoffzelte werden errichtet. Spaß beiseite. Eine wohlverdiente Vesper- und Verschnaufpause tut‘s auch. Schneebedeckte Gipfel so weit der Horizont reicht. Kalter Wind pfeift um unsere Gesichter. Beängstigend und erfüllend zugleich. Wir haben es geschafft, der Berg hat uns nicht in die Knie gezwungen.

Da es langsam eng wird um das Gipfelkreuz rüsten wir uns zum Aufbruch und sind alsbald auf dem Abstieg zum Gletscher. Das Gehen in der Seilschaft fühlt sich mittlerweile ganz natürlich an, selbst der sulzige Schnee kann unser Hochgefühl nicht mindern. Trotzdem müssen wir unseren Übermut in Zaum halten, denn es ist immer noch volle Konzentration angesagt, vor allem, sobald wir uns mitten auf dem Gletscher befinden. Wir verteilen uns dort, um die Last möglichst breit zu streuen und das Risiko eines Einbruchs in eine der versteckten Gletscherspalten zu minimieren. Während wir darauf warten, dass Frank und Markus an einer geeigneten Spalte die nächsten Stationen vorbereiten, genießen wir staunend das Ambiente. Trotz problemlosen Aufstiegs steht eine weitere Praxiseinheit für den Ernstfall an, die Rettung aus einer Gletscherspalte mittels „loser Rolle“. Jetzt können wir als das Erlernte anwenden. Es wird sich mit vollem Körpereinsatz in den Schnee geworfen, beim T-Anker Verbuddeln stoßen wir beinahe auf Öl und der Schnee wird verdichtet, als ob unser Leben davon abhinge – was es, wenn‘s blöd läuft, auch tut – darüber soll die Begeisterung, mit der sich in die Gletscherspalten geschmissen wird, auch nicht hinwegtäuschen. Einen Heidenspaß hat es trotzdem gemacht. Die Suche nach Eis hat Frank und Markus während der letzten Tage keine Ruhe gelassen und es scheint fast so, als müsse der „Eis“-Teil der Ausbildung theoretisch bleiben. Umso größer die Freude, als wir auf dem Gletscher doch noch etwas zugängliches Eis entdecken. Hier zeigt uns Fränk, wie man mittels Eisschrauben einen Standplatz bauen kann, um sich und die Seilschaft zu sichern. Jede*r muss mal ran, das Eis wird zum Schweizer Käse.

 

Zu guter Letzt, bevor wir unsere durchgefrorenen Körper wieder Richtung warmer Hütte bewegen, wird unsere kognitive Aufnahmekapazität dann vollends ausgereizt, als man uns zeigt, wie man mit einer Eisschraube eine Sanduhr ins Eis bohren kann, um sich daran abzuseilen. Dies scheint das Zeichen zum Aufbruch, die Beine sind schwer, der Rucksack auch, die Köpfe rauchen. Die Sonne hat sich mittlerweile auch verabschiedet und es wird Zeit den Rückweg anzutreten. Nach einer mehr oder weniger ausgiebigen Dusche und einem stärkenden Abendessen, das wie immer vorzüglich schmeckt, ist die Stimmung am Abend ausgelassen. Wir sitzen wohl eine Spur länger als zuvor zusammen, trinken vielleicht das ein oder andere Bier mehr und lachen Tränen bei feucht-fröhlichen Mäxchen-Runden. Das gemeinsam Erlebte hat uns zusammengeschweißt. Alle sind glücklich über das, was sie geleistet haben.

Montag, 6:30 Uhr. Kein Wecker klingelt schrill und unbarmherzig. Die innere Uhr der vergangenen Tage hat uns geweckt. Die Stimmung ist entspannt, hat jedoch einen bittersüß melancholischen Unterton. Bevor wir den Abstieg antreten und uns aus dieser ganz eigenen Bergwelt verabschieden müssen, üben wir eine letzte Rettungstechnik, die ihren Namen dem berühmten Lügenbaron „Münchhausen“ zu verdanken hat. Ob die legendäre „Beischlaf- Bewegung“ dabei ebenfalls von selbigem stammt, bleibt ein Mysterium. Fränk jedoch besteht darauf, dass dies ganz klar „Lehrmeinung sei“. Wie dem auch sei, Zeit für letzte brennende Fragen und Spezialtechniken. Dann aber heißt es Abschied nehmen. Wir wandern zurück und vorbei an tosenden Wasserfällen, über Altschneefelder und zerklüftete Felsen. Ein paar grasende Kühe nicken uns müde vom Wegesrand zu. Eigentlich könnten wir uns jetzt zu ihnen legen. Keiner will so wirklich zurück. Zu schön, war es dort oben auf knappen 3.000m Höhe. Nach einer letzten Abschiedsrunde beim gemeinsamen Mittagssnack treten wir die Heimfahrt an. Es war einfach großartig! Ihr wart großartig lieber Frank und Markus. Und am Ende ist es doch „wurscht wie dick s’Brot isch, solang d’Wurscht so dick wie’s Brot isch“ – die nächste Hochtour kommt bestimmt!

Jonathan Kittel

Bilder: Frank Diether