Tourenbericht Bergsteigen
Im Schatten der 4000er der "Haute-Route"- Hochtouren um Arolla
08.07.2021 bis 12.07.2021 mit Frank Diether und Bärbel Blaum
1. Tag: Aufstieg zur Cabane des Vignettes 3.157 m
2. Tag: Aufstieg über Nordflanke zum formschönen L`Evêque 3.716 m, Abstieg zur Cabane de Chanrion 2.462 m über Glacier d´Otemma
3. Tag: Besteigung des Bec d`Epicoune 3.531 m über den so genannten "Mini-Biancograt"
4. Tag: Über den Glacier de la Serpentine auf die Pigne d`Arolla 3.796 m und Abstieg zur Cabane des Dix 2.928 m
5. Tag: Abstieg nach Arolla
„War jemand von euch schon einmal in den Walliser Alpen rund um Arolla?“ fragt Frank bei der Vorbesprechung in die Runde. Kopfschütteln. „Gut, ich auch nicht. Aber toll soll es sein, das Gebiet zwischen Matterhorn und Mont Blanc!“ Wir durften also gespannt sein und das waren wir! Gespannt und voller Vorfreude auf eine fünftägige Runde, weite Gletscher, dunklen Granit, drei verschiedene Hochtourenhütte und 3000er soweit das Auge reicht.
Schon vor Abfahrt zwang uns ein Anruf von der Cabane des Dix zum Umplanen. Der Pas de Chevre und damit unser Rückweg nach Arolla sei gesperrt. Also planten wir die Tour um, aus dem Rundkurs wurde ein langgestrecktes Komma, die letzte Nacht buchten wir um auf die Cabane des Vignettes, wo wir auch die erste Nacht verbringen sollten.
Der Plan stand also, doch schon beim Aufstieg zur Cabane des Vignettes erwartete uns die nächste Überraschung. Dicke, dunkle Wolken zogen auf, der Wind frischte auf, dann kam Regen, dichter Nebel, Schneegraupel und Gewitter, das zwischen den steilen Felsflanken und Seitmoränen ordentlich rumste. Pitschnass und durchgefroren erreichten wir sicher die Cabane des Vignettes, wo uns der freundliche Hüttenwirt bereits in der Tür erwartete: „J’ai déjà fait un feu! Kommt rein und wärmt euch auf.“ Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Den ganzen Abend lang hielt der Schneefall an und es fielen einige Zentimeter Neuschnee… also: Planänderung!
Am nächsten Morgen stapften wir los durch den wadentiefen Schnee. Nicht auf den formschönen und anspruchsvollen l’Evêque sondern auf den Hausberg der Hütte, die Pigne d’Arolla. Abwechselnd spurten wir durch den unberührten weiß glitzernden Schnee und wünschten uns mehr als einmal Ski unter den Füßen. Der Blick vom Gipfel war gigantisch und ließ uns die Anstrengung des Aufstiegs vergessen: Matterhorn, Dent Blance, Allalinhorn und Mont Blanc. Wahnsinn! Dann tigerten wir weiter zum Col de la Serpentine und über den Glacier de la Serpentine 1400 Hm bergab. Vom Schnee aufs Eis, auf die schuttige Seitmoräne, ins Delta des mäandernden Geltscherflusses… dann plötzlich: Sackgasse! Also Schuhe aus und barfuß durchs Gletscherwasser waten. Weiter vorbei an blühenden Alpenrosen und pfeifenden Murmeltieren zur Cabane de Chanrion auf 2462m.
Nach 12h on tour erreichen wir die modern renovierte Hütte genau pünktlich zum Abendessen. Mit diesen müden Beinen und dem vielen Schnee den Mini-Biancograt machen? Forget it! Also: nächste Planänderung. Wir nahmen für den kommenden Tag den Westgrat des Point d’Otemma ins Visier. Hausberg der Cabane de Chanrion, kein Schnee, kein Eis, leichte Gratkletterei in festem Granit, so die Tourenbeschreibung. Vor Ort dann recht anspruchsvolle Kletterpassagen, loser Schotter und Ausgesetztheit. Aha, „für Geübt unschwierig“. Also teilten wir uns auf und die Hälfte ging zurück zur Hütte, bestellte Cappuccino und schaute gebannt zum Grat hinauf, wo hin und wieder die Silhouetten von vier mutigen Kletterern zu erkennen waren.
Am Sonntag dann früh raus, durchs Col de la Petite Lire und auf den namlosen 3472m hohen Felsgipfel. Wir genießen den festen Trittfirn, doch auf der Südseite bekommen wir bald den weichen Sulz zurück. Tapfer stapft Frank voran und drückt sich unter lautem Stöhnen aus den hüfttiefen Löchern in die wir immer wieder einsanken. Ganz schön kräftezehrend. Doch egal wie tief die Löcher waren, die Laune blieb top und das Wetter stabil.
Und irgendwann kamen wir an, streckten unsere nassen Socken in die Sonne und bestellten ein kühles Bier auf der Terrasse der Cabane des Vignettes. Den Blick auf den l’Evêque gerichtet. Formschön, stolz und unbezwungen zwinkerte er zu uns herüber und wir grinsten zurück: „Für dich kommen wir ein andermal nochmal, mit weniger Schnee oder mit Tourenski!“
Auf dem Abstieg drehten wir uns nochmal um. Lange Schatten warfen die umliegenden spitzen 4000er in der flachen Morgensonne. „Im Schatten der 4000er der "Haute-Route"- Hochtouren um Arolla“ – was für eine grandiose Woche! Zwar anders als geplant aber verstecken muss sich diese großartige Runde deswegen nicht.