Tourenbericht Jugend

Bolt-Busters und die Macht des Chaos

Wer bohrt eigentlich die ganzen Touren ein und wie geht das? 

Diese Frage stellen sich wohl die wenigsten, wenn sie konsumfreudig an den eingebohrten Plaisir-Spot wandern. 

 

Die JDAV Baden-Württemberg hatte dieses Jahr ein ganz besonderes Schmankerl in ihrem Fortbildungskatalog für Jugendleiter*innen: 

"Bohrhaken - Der Mord am Unmöglichen?" 

Die Fortbildung verspricht Außergewöhnliches - hier sollte das Wie-Was-Warum beantwortet werden. Die Anmeldevoraussetzungen sind hoch, aber zu schaffen. Also nichts wie los! Wenn möglich, bin ich zwar für mobile Absicherung, aber ich will auch die Plaisir-Seite kennenlernen. 

 

Es benötigt einige Telkos, unzählige Mails und Excel-Tabellen bis wir ein Ziel haben, passendes Material beschafft ist und wir so ungefähr mit ausreichend Bohrmaschinen und Co. ausgestattet sind. 

So treffen wir - vollgepackt mit tollen Sachen - an einem verregneten Morgen auf dem Zeltplatz im Göschner Alptal zusammen. Nach einer Einführung starten wir in die wilde Materialschlacht. Der Klettergarten direkt am Zeltplatz soll saniert werden: Rostgurken raus und feinste Inoxbohrhaken rein. Als Umlenker kommen Kettenstände mit Ring oder gar Karabiner zum Einsatz. Für die Sanierungen erhalten wir Material von rebolting.ch. Dieser Verein unterstützt in der ganzen Schweiz nachhaltige Sanierungen und versorgt uns auch kurzfristig mit Nachschub. 

Für Erstbegehungen haben wir, unterstützt durch unsere Sektionen und den Landesverband der JDAV Baden-Württemberg, eigenes Material angeschafft. Aber teilweise haben wir das Gefühl, auf einer Gärtner-Fortbildung gelandet zu sein, denn zum Putzen der Routen erweisen sich Spaten, Astsäge, Fugenkratzer und Stahlbürsten als unerwartet notwendige Ausrüstungsgegenstände! Das ist aufwändige, aber lohnenswerte Arbeit.  So schnell wie das Wetter gut wird, ist dann auch klar, dass die Gruppe hier saustark ist. Innerhalb des ersten Tages ist der Klettergarten nicht nur saniert, sondern auch noch um drei neue Routen reicher!  

 

Tja… wenn es unten nichts mehr zu tun gibt, dann müssen wir am nächsten Tag wohl ins Voralptal weiterziehen. Man könnte nun erstmal mit Info-Sessions zu Seiltechniken etc. starten und ganz klassisch sanieren. Doch als wir an den auserkorenen Wänden an der linken Talseite ankommen, beginnen wir sofort spannende Linien im Fels zu entdecken: hier eine Zickzacklinie, da eine Verschneidung, dort ein auslaufender Riss! Der Forscherdrang ist geweckt und so starten einige Seilschaften direkt in die Erschließung neuer Routen.  

Parallel dazu beginnt aber auch schon die gewissenhafte Sanierung von Bestandsrouten wie "Ying und Yang"  (5c+). Das ist ganz schön viel Arbeit im Fixseil-Ballett, mit all dem Werkzeug am Gurt! Alle sind fit und fragen nach, wenn sie sich mal verloren fühlen. Doch ziemlich viel läuft hier in einer unglaublichen Gruppendynamik von selbst! 

 

Und bei jedem neuen Bohrloch schwingt die Frage mit: Muss das sein? Wer ist die Zielgruppe? Darf und muss wirklich ICH das jetzt entscheiden? 

So kommt es, dass ich - ein ausgesprochener Trad-Verfechter - ein zweites Mal in meine Neuerschließung einsteige, um weitere Haken zu setzen. Die Homogenität der Route scheint mir in diesem Fall wichtiger als dogmatisch ein paar unbedeutende Cams zu erzwingen. 

Zwei Tage später lassen wir einen Riss 20 Meter weiter bewusst komplett clean, weil er sich einfach fabelhaft absichern lässt und auch im Rest der Route mobiles Absichern möglich ist.  

So schnürt jeder nach bestem Wissen und Gewissen "runde" Tourenpakete. Meist wird im Vorstieg erschlossen, aber auch hier stellt sich manchmal die Frage, welchen Mehrwert man sich und der Welt damit generiert. Mit einer Bohrmaschine im Vorstieg Platten schleichen ist auf jeden Fall ein besonderes Erlebnis! Alternativ kann man Routen natürlich auch von oben einrichten, was gerade in sehr schweren Sportkletterrouten der Standard ist. Aber das genießt in der Kletterwelt nunmal nicht das gleiche Ansehen, wird teilweise gar komplett abgelehnt und ist in (alpinen) Mehrseillängen häufig keine Option. 

Es macht wirklich viel Spaß, mit all den Begehungsmethoden, Seiltechniken, technischem Klettern etc. in der Wand unterwegs zu sein. Es ist wie ein großes Puzzlespiel mit dem eigenen (Kletter)Knowhow, das in dieser Umfänglichkeit sonst selten zum Zug kommt. 

Altes, fragwürdiges Material holen wir so weit es geht raus. Da wird gehämmert, geschraubt, geflext und verzweifelt gedreht. Es ist erstaunlich wie wehrhaft sich vermeintliche Rostgurken manchmal erweisen. Einige Muniringe, Schlaghaken und Co. dürfen als nostalgische Ansichtsexemplare jedoch in der Wand bleiben. 

 

Natürlich haben wir unser Vorhaben im Vorfeld auch mit Locals abgestimmt. Aber wenn man dann vor Ort ist, merkt man mitunter deutlich, dass man hier an den Herzensangelegenheiten von ganz verschiedenen Menschen arbeitet. Der ein oder andere Local schaut vorbei. Wir ernten Lob, Kaffee und Pfannkuchen, aber auch aufbrausende Kritik. 

Wenn man dann aber erstmal ins Gespräch kommt, finden sich schneller als gedacht gemeinsame Standpunkte, Projekte und Gedanken. 

So hoffen wir, dass sich jeder in unserer Sanierungs- und Erschließungsethik irgendwo abgeholt fühlt: Plaisirkletterer, Traditionalisten, lokale Bergführer und all die unbekannten Erstbegeher. 

Für Kritik und Verbesserungswünsche sind wir auch im Nachhinein dankbar und offen! Destruktive “Bohrhakenkriege” oder unnötige “Plaisirorgien” sollten im Dialog behandelt werden statt mit Flex und Bohrmaschine. 
 

Nach fünf intensiven Tagen sind wir alle platt, glücklich und um viele Erfahrungen reicher. Hier soll es nicht enden: Wir alle möchten unser Know How in der Heimat weiterverwenden - stets mit der Ethik-Diskussion im Hinterkopf. Und wenn ihr einen Klettergarten voller Rostgurken, aber keine Leute mit Zeit und Knowhow habt, dann meldet euch doch mal bei der JDAV Baden-Württemberg.  Dort gibt es motivierte junge Leute. ;-) 

 

Zu den Fakten: 

  • 20 Routen saniert
  • 5 Routen eingerichtet 
  • ca. 450 (Rebolting)-Haken gesetzt 
  • 20 (Rebolting)-Kettenstände gesetzt 

Topos findet ihr hier und hier 

 

Vielen Dank vor allem den beiden Teamer*innen Fynn und Simone für dieses aufwändige Experiment!  

Es wäre schön, wenn es eine Fortsetzung gibt! (Co-Teamende finden sich nun sicher)  

Vielen Dank dem Kochteam Alma und Lukas für das leckere Essen! 
 

 

Vielen Dank für die Unterstützung von: 

rebolting.ch 

fischerwerke GmbH & Co. KG 

JDAV Freiburg 

DAV Karlsruhe 

JDAV Tübingen 

JDAV Konstanz 

JDAV Berlin 

JDAV Lörrach 

JDAV Landesverband Baden Württemberg  

 

 

 

Text: Max Foos 

Bilder: Max Foos, Leon König