Tourenbericht Streuobstwiese

Blütenwanderung Hagelloch Weilheim

Der Tübinger Alpenverein hat nicht nur eine Hütte und eine Halle – sondern auch Wiesen. In Weilheim liegt die größte, rund 170 Obstbäume stehen dort – und die Streuobstinitiative in der Tübinger Sektion, rund 20 Engagierte, kümmern sich um diese Hang-Fläche am Beginn eines Tobels hinter Weilheim.

Warum? Die Antwort gab es bergsportmäßig – mit einem Marsch von Hagelloch über die Wurmlinger Kapelle bis nach Weilheim. Klaus Schmieder, einer der Köpfe der Streuobstinitiative, hatte sie konzipiert – und der Gruppe am Internationalen Tag der Streuobstwiesen (okay, eigentlich einen Tag später) dabei auch ein unbekanntes Stück Heimat gezeigt: Den Pfad hinter dem Ammerhof zum Spitzbergsattel samt seinem lauschigen Aussichtsplatz mit Parkbank kannte kaum einer.

Zum heimatgeographischen Erkenntnisgewinn kam vor allem der ökologische Input dazu. Immerhin ist Klaus Schmieder da Fachmann, als Professor an der Universität Hohenheim im Fachgebiet Landschaftsökologie. Dort ist STIK einer seiner Forschungsschwerpunkte: Streuobstwiesen im Klimawandel. Man ahnt schon: Da wird es leicht apokalyptisch. Obwohl der Start der Wanderung sehr idyllisch war – es ging durch die blühenden Obstbaumwiesen des Hagellocher Birnenpfades, und vom blankgeputzten Himmel setzte die Sonne den schwäbischen Hanami ins beste Licht.

Aber: Klaus Schmieders Botschaft passte nicht zum paradiesischen Anschein. Schon die Statistik zeigt: Mit den Streuobstwiesen geht es rapide bergab. Hatten Baden und Württemberg im Jahr 1937 noch 34 Millionen Obstbäume, so sind es nun etwa 7 Millionen. Da hat zum Beispiel im Jahr 1957 eine Rodungsprämie, um große Ackerflächen zu schaffen, im Bestand gewütet – und jetzt ist es der demographische Wandel: Die mit Obstbäumen sozialisierte Generation stirbt oder kann nicht mehr raus aufs Stückle, den nachfolgenden Generationen fehlt es an Interesse.

Geleitet von Klaus Schmieders kundigen Augen, sah man es dann deutlicher: Es fehlt die Pflege, und so verbuschen Wiesen, schlingen sich andere Bäume um die Stämme, saugen Misteln die Äste aus. Und weil kaum nachgepflanzt wird, stehen vor allem Bäume im Sterbe-Alter auf den Wiesen.

Die düstere Prognose des Wissenschaftlers: „Weil jedes Jahr 1,7 Prozent der Bäume verschwinden, gibt es in 20 Jahren keine Bestände mehr in Baden-Württemberg.“ Ein Fachwart hat ihm auf einer Tagung mal widersprochen: Nein – das komme sogar noch schneller. Den Bäumen setzt ja nicht nur das mangelnde Engagement zu. Sondern auch das Klima. Zu heiße Sommer lassen sie verdursten, und die Hitze lässt die Rinde bersten. Eine perfekte Eintrittspforte für die Sporen des Schwarzen Rindenbrandes – ein Pilz, der die Bäume killt.

Und zwar immer öfter, und auch junge nachgepflanzte. Es war schon erschreckend, wie Klaus Schmieder immer wieder, egal, wo die Gruppe gerade unterwegs war, das Zerstörungs-Werk des Schwarzen Rindenbrandes zeigen konnte. Da verschwindet ja nicht nur eine schöne Landschaft, da verschwindet ja eine ökologische Welt: Über 5000 Tier- und Pflanzenarten, über 3000 Obstsorten. Die ja auch Nahrung sind, feste und flüssige. Am Schönbuchrand erwartete die Gruppe ein Tisch mit Most- und Saftvariationen der Mosterei Gugel, eines DAV-Kooperationspartners.

Und noch einmal gab es flüssigen Nachschub, in den Hirschauer Weinbergen. Dort schenkte Klaus Neufang seinen Most aus – ein Ingenieur, der seinen Ausgleich in der Natur findet. Zwei verwilderte Weinberge hat er schon gerodet und neu bepflanzt, einem weiteren mit Obstbäumen neue Mauern eingezogen. Und im letzten Sommer hat er dazu Unmengen Wasser hochgeschleppt, um 14 neugepflanzte Bäume durchzubringen – bei 13 hat er es geschafft. Was dort so kreucht und fleucht, dokumentiert er mit seiner Kamera – tolle Bilder, großformatig ausgedruckt, hängt er dann schon mal in seine Freiluft-Galerie.

Also – es gibt sie noch, die Enthusiasten, die sich dem Niedergang entgegenstemmen. Wie eben auch die Tübinger DAV-Streuobstinitiative, die, soviel sei angemerkt, in Weilheim ja auch nicht gerade ein gemähtes Wiesle übernommen hat.

Aber jetzt schon fleißig geschafft und geerntet hat – im letzten Herbst waren es fünf Tonnen Obst, die 3000 Liter Saft gaben. Klar, dass den die durstige Gruppe kredenzt bekam, als sie auf diesem Areal einlief. Und vom Grill gab es Schafswurst, von der Schäferei Fritz, deren Schafe auch auf den DAV-Wiesen weiden.

Fazit: Viel gesehen, viel gelernt – eine Premieren-Wanderung, die gerne zur Tradition werden darf.

 

Autor: Wolfgang Albers