Bericht Jugend

Mehrseillängen für Einsteiger*innen in Chiavenna

Anfang Juni fuhr eine kleine Gruppe motivierter Kletter:innen im Rahmen eines fünftägigen Mehrseillängenkurses gemeinsam nach Norditalien, um endlich nicht mehr nur sportklettern, sondern auch alpinklettern zu können. Organisiert wurde der Kurs als Kooperationsausfahrt über die JDAV Tübingen und USC München von den Jugendleiter*innen Hanna und Tobi.

Ziel war Chiavenna in der Lombardei, mit wunderbar abgesicherten Routen am Gneis – Für manche von uns, die vor allem den Kalkstein der Schwäbischen Alb kennen, fast schon eine erholsame Abwechslung. Die vorab gemeinsam erstellte dreißigstündige Roadtrip-Playlist brachte uns gut durch die sechsstündige Fahrt, im Auto wurden bereits in Vorbereitung auf den Standplatzbau das Legen doppelter Bulins geübt und wir lernten uns kennen. Um nach der langen Fahrt wieder etwas wacher zu werden, wurde auf der italienischen Seite des Splügen-Passes ein Stopp zum Sportklettern eingelegt. Unser Lager war dann auf dem super ausgestatteten und ruhigen Campingplatz „Acquafraggia“ (direkt neben dem gleichnamigen Wasserfall gelegen), dessen Besitzer, ein erfahrener Bergführer, den beiden Jugendleiter:innen vor unserer Anreise versprochen hatte, für Übungszwecke einen Standplatz auf dem Gelände zu bohren – was er dann tatsächlich auch tat.

Die kommenden Tage waren mit viel Programm gefüllt: Stunden über Stunden wurde im Trockenen auf dem Campingplatz geübt, wie Abseilen am besten funktioniert, Stände gebaut werden, einhändig Mastwürfe und Halbmastwürfe gelegt werden können, wir uns gegenseitig in der Tour sichern können, Seile auf verschiedene Arten aufgenommen werden können und der Schleifknoten gemacht wird. Hanna und Tobi hatten dabei auf (fast) jede „Warum???“-Frage sofort eine gute Antwort und Erklärung. Auch die persönliche Schutzausrüstung sowie Auswahl und Nutzen der Materialien wurden ausführlich besprochen, sodass wir tatsächlich einen Plan hatten, warum wir mit welcher Ausrüstung an den Fels gehen. Das sorgte für einige Aha-Momente; unter anderem anhand des anschaulichen Beispiels, dass Materialien wie Dyneema, da sie einen relativ geringen Schmelzpunkt haben, durch starke Seilreibung zum Reißen gebracht werden können – und genau deshalb das Reiben von Seil auf Schlinge oder Seil auf Seil vermieden werden sollte. Neben den Trockenübungen verbrachten wir einige Stunden beim Sportklettern, um uns an den Fels zu gewöhnen und unsere Kletterpartner:innen besser kennenzulernen.

Nach zwei Tagen intensivem Theorieinput wollten wir schließlich in die erste Tour starten, was durch ein einsetzendes Gewitter jedoch verhindert wurde – wir mussten uns noch etwas gedulden. Am nächsten Tag hatten wir jedoch wieder Glück mit dem Wetter und konnten in Dreier- und Zweierseilschaften unter den wachsamen Augen der beiden Jugendleiter:innen in unsere ersten Routen (mit dem passenden Namen „Innanzitutto“ – „Zuallererst“) starten. Es wurde durchgewechselt und so konnten alle auch vorsteigen. Mithilfe der Rekapitulation der frisch gelernten Techniken und Knoten, weiterer Nachfragen und Selbstgespräche beim Stand bauen fühlten sich alle sicher und schafften ohne Probleme die erste Mehrseillänge.

Nachmittags ging es dann in weitere kurze, aber knackigere Touren. Kurzerhand hatte Hanna die Idee, die Seilschaften oben am Fels über einen kurzen Grat zusammenzuführen und gemeinsam in einer Route („Intossicazione alcolica“), die gleichzeitig die offizielle Abseilpiste war, abseilen zu lassen, weil diese über einen Überhang ging und somit für alle interessanter war als über eine Platte abzuseilen. So trafen wir uns schließlich zu acht an einem Stand wieder, der durch ausgeklügeltes Seil- und Standmanagement gut organisiert werden konnte.

Wieder sicher unten angekommen wurde der letzte gemeinsame Abend mit Pizza in einem Restaurant in Chiavenna eingeläutet. Zufällig fand an dem Abend auch noch das legendäre Stadtfest von Chiavenna statt. So fanden wir uns kurzerhand in einer Gruppe von Italiener:innen wieder und als wäre das Klettern nicht genug gewesen, wurde noch eine ganze Weile zu italienischer Volksmusik getanzt.

Glücklich und zufrieden über viel neu gelerntes Know-How, unzählige Aha-Momente und eine harmonische Gruppendynamik ging es samstags zurück nach München und Tübingen. Topos für weitere Mehrseillängen wurden geteilt, erste Verabredungen getroffen und die Woche nachbesprochen.

Herzlichen Dank an Hanna und Tobi für die super Vorbereitung und Durchführung des Kurses, die kompetente, sichere und gleichzeitig entspannte Begleitung, das Beantworten unzähliger Nachfragen und die Motivation und gute Laune, die durch so manches Mittagstief half.

Text: Nora Tempel