Tourenbericht Klettern

Fit an den Fels

Ausgangspunkt: entspanntes Klettern in geselliger Runde mittwochabends im B12 – fester Bestandteil in meinem Terminkalender seit Bestehen des B12, bis mich Edith einlud zum Kurs "Fit an den Fels". Den würde sie zusammen mit Matthias ab April 2018 in 12 Terminen in 14tägigem Abstand über den ganzen Sommer hinweg anbieten. „Das wär doch was für Dich! Bis zum Herbst kletterst du einen Grad besser!“ .. Ja ein bisschen neue Motivation, ein bisschen Input, im B12 bin ich sowieso, wieso eigentlich nicht!

 

Erster Termin, Vorstellungsrunde – wow, einige bekannte Gesichter mit ordentlichem Kletterlevel, die anderen ziemlich jung und auch recht gut ... und ich (durchschnittliches Kletterniveau, Ende 40) – na dann, auf was hast Du Dich da eingelassen? Das wurde recht schnell klar, als Edith und Matthias die Inhalte ihres Kletterkurses vorstellten: Klettertechnik und Taktik, Kraft- und Ausdauertraining, Routenlesen und Onsighten, Sturztraining, Aufwärmen, Dehnen, Ausgleichsgymnastik.  "... und ich versprech Euch nach Umsetzung dieser Ausbildungsinhalte ein neues Kletterleben!" - BÄM!!! Ein neues Kletterleben...?! - Ja, ich will!!! Irgendwie schaffte es Matthias, mit diesem wahrscheinlich relativ unbedachten Ausspruch einen, nein DEN entscheidenden Schalter für ein neues Zeitalter in meiner Kletterlaufbahn umzulegen. Wie sich relativ bald herausstellte nicht nur bei mir, sondern bei den meisten Kursteilnehmern. Es folgte Videoanalyse unseres bisherigen Leistungsstandes:  alles ziemlich ungeschmeidig, hier und da und dort steckt noch ungenutztes Potential… aber alles mit dem Credo "Mann/ Frau, da geht noch was, du kannst mehr!"

 

Erste Trainingseinheit, alles nochmal auf Anfang: Standardbewegung - "Rüber und Rauf"

Füße setzten, Gewicht verlagern, mit der Hüfte den Schwung einleiten und raufgreifen,  im Lot stehen, und schlussendlich entkoppeln (??) - soweit die Theorie und ja: so oder so ähnlich mach ich das doch. Aber jetzt mal an die Wand und bewußt das theoretisch Gelernte praktisch umsetzen. Die Finger glühen, die Hüften bewegen sich  ungelenk und vor allem die Köpfe rauchen. Sooo viel denken, nur um die zielführende Bewegung richtig umzusetzen! Hausaufgabe:"Das übt ihr jetzt jedes mal, wenn ihr klettern geht, in eurer Komfortzone, bis die Bewegung in Fleisch und Blut übergeht." Spätestens jetzt wurde klar: wenn das mit dem neuen Kletterleben was werden soll, ist Ehrgeiz und  Schweiß gefragt! Aber kein Thema, hochmotiviert ergab sich schnell ein (pädagogisch bewußt inszeniertes) Ranking, wer zwischen den Kursterminen am häufigsten klettern und damit trainieren ging.

 

Zweite Trainingseinheit: Sturztraining und Sicherungstechnik - nur Fliegen ist schöner!

Klar, wer gut klettern will, muss angstfrei klettern. Aber wer fällt schon gern? Sichtlich mit gemischten Gefühlen ging der eine oder andere von uns in diese Trainingseinheit. Aber Edith und Matthias führten uns behutsam und in kleinen Schritten ans Stürzen heran und vermittelten uns gleichzeitig eine solide und weiche Sicherungstechnik, so dass in der Gruppe ein vertrauensvolles Verhältnis zu den verschiedenen Sicherungspartnern aufgebaut werden konnte. Und alle gingen wir nach diesem Training mit einem breiten Grinsen im Gesicht aus der Halle - Fliegen ist nur halb so schön! Wie immer Hausaufgabe: soweit es die Situation zuläßt, der letzte Haken wird nicht geklippt ... und Abflug, damit Kopf und Bauch Sturzroutine bekommen!

 

Dritte Trainingseinheit: Kraft und Ausdauer - jetzt gings ans Eingemachte!

Die "Systemwand" - das ist der Bereich im oberen Stock des B12, wo scheinbar wild alle übrigen Griffe angeschraubt werden :) - war für die wenigsten von uns bislang ein Betätigungsfeld. Hier gilt es, durch mehrmalige Wiederholungen eines individuell zusammengestellten Boulderzirkels unter Benutzung möglichst schlechter Tritte und Außerachtlassens kraftsparender Klettertechnik maximale Kraftausdauer aufzubauen. Schnell wurde für diese Art des Trainings "Quälen" zum geflügelten Wort. "Das solltet ihr jetzt wenigstens einmal pro Woche machen", war der Auftrag bis zum Herbst. Der Verbrauch an Tape stieg rasant, als sich ziemlich schnell Schwielen und offene Blasen an den Fingern zeigten. Ja, Ehrgeiz und Schweiß sollten nicht reichen fürs neue Kletterleben, es musste auch noch "Blut " fließen!

 

Vierte Trainingseinheit: Dehnen und Ausgleichsgymnastik - Pflege deinen Körper!

Nachdem wir uns bisher reichlich abgemüht hatten, uns körperlich und mental auf Vordermann zu bringen, hieß es nun "Pflegt Euch! Ihr werdet ja nicht jünger und wollt noch länger klettern!" Edith zeigte uns Übungen zur Stärkung antagonistischer Muskelgruppen, um Fehlbelastungen vorzubeugen oder gar schon entgegenzuwirken. Dehnen sollte der Regeneration stark beanspruchter Muskel, aber auch der Erhaltung und Verbesserung der Beweglichkeit dienen. Von Entspannung war keine Rede. Auch diese Trainingseinheit forderte uns nahezu genauso wie die vorausgegangen. "Und dafür solltet ihr schon einen eigenen, vom Klettern unabhängigen, aber regelmäßigen Termin vorsehen." Verdammt, wieso hat die Woche nur sieben Tage!

 

Fünfte Trainingseinheit: Onsight und Rotpunkt - wie die Profis

Nachdem wir mittlerweile im B12  den Spitznamen "Die von der Leistungstruppe" hatten, wechselten wir die Location und gingen ins Rox nach Herrenberg. Hier gab es für die meisten von uns noch unbekannte Routen - perfekt für unsere neue Aufgabe. "Onsight" - das Ziel ist, eine Route im persönlich noch machbaren Bereich nach genauem visuellen Studium im ersten Versuch durchzusteigen. Mental und mit "händischem Luftklettern" ging jeder seine ausgewählte Route durch: wo und wie sind die Klipp-Positionen, wo sind die Schlüsselstellen - und wie kann man sie lösen, wo sind gute Rastpositionen? ... und dann rein in die Route: "Stark!" (es hat geklappt) oder "Bang!"- ein Beitrag zur Sturzroutine! "Rotpunkt" - wir projektieren eine für uns schwere Route durch Einteilen in mehrere Kletterabschnitte und Ausbouldern schwieriger Züge. Ziel ist der finale Durchstieg. ..Starkes Gefühl, wenn man so als gerade mal 7er-Kletterer dann mal eine 8- durchzieht!

 

Sechste Trainingseinheit: Dynamik -  sieht schon ziemlich gut aus!

Manche Züge klappen nur mit dem nötigen Schwung, und der braucht manchmal nicht nur Mut, sondern viel mehr auch die richtige Technik. Wieder Mal liegt das Geheimnis in der Hüfte! Eindrucksvoll führt uns Matthias das vor: Schwungholen, Hüfte in einer wellenartigen Bewegung an die Wand führen, dann im richtigen, fast schwerelosen Moment loslassen und scheinbar mit Leichtigkeit an den Zielgriff explodieren.

WOW! Vor allem wir Mädels sind beeindruckt. Auch hier gilt es wieder: in kleinen Trainingsschritten die Bewegung verinnerlichen und immer weiterweg liegende Zielgriffe erreichen. Das Unmachbare rückt immerhin ein kleines Stückchen näher und zumindest beim Bouldern läßt sich so ein Dynamo schon mal zielführend anbringen, in der Wand ist das ein noch anderes Thema -  Sturztraining hin oder her.

Letzter Hallentermin: abschließende Videoanalyse und individuelles Coaching - haben wir unser Ziel "Kletterleben 2.0" erreicht? Wir geben alles, mit mehr oder weniger guten Erfolg zeigen wir unser Können, was Edith und Matthias via IPad festhalten, mit vorausgegangenen Videoanalysen vergleichen und uns ein individuelles Feedback geben. Ja, besser geworden ist ein jeder von uns, nahezu einen ganzen Klettergrad, der Kletterstil hat sich deutlich verändert, auch wenn nicht ein jeder zu jeder Zeit alles bestens umsetzen kann und die persönlich gesteckten Ziele sind alle weit übertroffen worden. Bingo! .... und Spass- von dem war ja bisher noch gar keine Rede - hat es jede Menge gebracht!

 

... aber Moment, da war noch was: Hieß der Kurs nicht irgendwas mit Fels - Fit an den Fels?

 

Fit am Fels ?!

 

Nachdem es scheinbar unmöglich war, während des Kurses möglichst viele Kursteilnehmer zu einem Felswochenende zu vereinen, schien dies zu einem späten Herbsttermin Ende Oktober doch noch zu klappen. Letztendlich lag die Teilnehmerquote aus verschiedenen Gründe aber doch bloß bei 50% - Schade! So machten wir uns bei allerbestem Kletterwetter auf den Weg in die Vogesen - Matthias´ Kletterheimat. Hier kennt er nicht nur beinahe jeden Kletterfelsen, sondern auch jedes noch so kurvige und kleine Sträßchen, den besten Bäcker und das beste Flammkuchenrestaurant.

 

Fit an den Fels 2018 Samstag Morgen nach Nebelauflösung Traumwetter, angenehme spätsommerliche Temperaturen und ein überschaubarer Fels - Krappenfels - in der Sonne zum Einklettern  ... und für das berühmt berüchtigte Sturztraining am Fels. Sollte Mathias tatsächlich meine Überzeugung der letzten Kletterjahre, dass man am Fels am besten nicht stürzen sollte, ins Wanken bringen? Genauso behutsam wie beim Hallentraining führte er uns auch an das Sturztraining am Fels heran: erstmal ein harmloser Topropesturz, dann ins Seilspringen bei der letzten geklippten Exe in Bauchhöhe, ein bisschen Schlappseil, einen Schritt höher, und noch einen und immer schön in der Bewegung, als wollte man tatsächlich den nächsten Zug ausführen. .... geht, ja geht tatsächlich … eigentlich gar nicht schlimm … wo ist das Adrenalin? Entscheidend für das angstfreie Stürzen ist auch hier wieder das nötige Vertrauen in den Kletterpartner und dessen aufmerksames und dynamisches Sicherungsvermögen. Nach 12-15 Trainingsstürzen pro Nase gingen wir dann entspannt in die Mittagspause und am Nachmittag etwas souveräner als bisher in diverse Kletterprojekte am Löwenstein, wo reger Wandererverkehr herrschte und wir immer wieder beeindruckte Zuschauer hatten. Dank der guten Vorbereitung waren wir tatsächlich alle zusammen ziemlich fit am Fels und konnten diesen Tag  erfolgreich und zufrieden, wenn nicht sogar ein wenig (mehr) stolz auf uns abschließen. Bei Wein und leckeren Flammkuchen fand der Tag einen gelungenen Abschluss in unserer sehr harmonischen kleinen Runde.

 

Fit an den Fels 2018 Am Sonntag gaben wir der Sonne erst mal noch etwas Zeit, die Felsen für uns aufzuwärmen und erkundeten die Felsruine Windstein, die praktisch vor unserer Hoteltür lag. Wir nahmen natürlich vor allem die zahlreichen Kletterrouten rund um den Fels in Augenschein, bewunderten die damaligen Baukunst, die sich die gute Bearbeitbarkeit des Sandsteins zunutze machte und die Festung oder Burg direkt aus dem Fels schlug und genossen den Blick in die umliegende unglaublich schöne Herbstlandschaft. Dabei blieb uns nicht verborgen, woher dieser Fels seinen Namen hatte: es zog wie Hechtsuppe! Unser erstes Kletterziel für diesen Tag war jedoch ein anderer Fels, "point de vue".  Hier konnte sich die Sonne anstrengen wie sie wollte; die für uns interessanten Routen lagen im Schatten. Trotz Aufwärmprogramm nach Ediths Vorgaben wollte sich bei den meisten von uns die Kletterlust nicht so richtig einstellen. Das lag aber auch an der Topographie des Felsens, der vor allem sehr kraftige, boulderlastige Einstiege durchweg aus einem Überhang heraus einforderte, was uns Mädels gar nicht so lag. Dafür war Robert umso erfolgreicher, der sein für dieses Wochenende anvisiertes Ziel - eine 7a, durchzusteigen, einsacken konnte. Damit alle anderen auch noch auf ihre Kosten kamen, wechselten wir zum Wachtfelsen, wo sich einige sehr lohnende Routen für uns anboten und der zudem auch noch großteils in der Sonne lag. Leider waren genug andere Kletterer auch auf diese Idee gekommen. Trotzdem konnten wir uns ausreichend in der Plattenkletterei üben und die eine oder andere Route erfolgreich abschließen. Dass wir dann gegen Schluss doch schon ziemlich platt waren, zeigte sich in einem ungewollten Sturztraining, als der geplante Durchstieg nicht mehr klappen wollte. Nur erstaunlich, dass mir der notwendige "Rückzug ins Seil" dann doch so schwer fiel nach dem "langweiligen" Sturztraining am Vortag. Draußen und in "echt" ist halt doch anders!

 

Danke an Edith und Matthias für diesen sehr motivierenden und überaus gewinnbringenden Klettersommer und an den Rest der gesamten  Truppe für ein aufgeschlossenes, sehr harmonisches und spaßreiches Miteinander - auch außerhalb der offiziellen Trainingseinheiten!

 

Beate Schreiner