Tourenbericht Klettern
Platten am Sperone statt Schnee am Bielenhorn
Birgit Stefaneks Plan A sah einen normalen Sommer und einen gesunden Manuel als zweiten Tourenleiter vor. Leider kam es anders, so dass die strengen Richtlinien der Sektion den ursprünglich gefassten Plan ausschlossen, den Teilnehmern eine Gratkletterei in luftiger Höhe auf das Bielenhorn am Furkapass zu bieten. Schneefallgrenze 2.100 m: Die Übernachtung in der auf 2.700 m hoch gelegenen Sidelenhütte und eine wohl eher für Jörg, Dirk, Andi und Lando waghalsige Winterbegehung des Grats in einer 3.000er Höhenlage wurde durch Plan B ersetzt! So ergab sich ein Campingurlaub auf dem direkt am Strand der Maggia gelegenen Campingplatz "Piccolo Paradiso" auf 320 m über dem Meer in Avegno, im sommerlichen Tessin. Vorteil für Birgit: Sie musste nicht frieren, Vorteil für Andi: Er konnte seine Freundin Anja als weitere Teilnehmerin mitbringen, Vorteil für den Verfasser: Er durfte endlich am Sperone di Ponte Brolla die "Quarzo" abhaken.
So brach die Truppe am Freitagmorgen des 15. Juli 2016 mit dem DAV - Bus in Tübingen auf und erreichte Avegno am frühen Nachmittag. Die Zelte waren schnell aufgebaut, die Kosmetikkoffer und Glätteisen der beiden Damen und die paar Habseligkeiten der Herren waren rasch verstaut, so dass man bald per pedes den nah gelegenen Kletterfelsen bei Ponte Brolla erreichte. Bestens abgesicherte, reibungsfreundliche Gneisplatten stellten die Basis für das erste Rendevous der Truppe mit dem Gebiet und Birgits erster Lehrstunden dar. So wurden die ersten Schleichversuche auf den Platten ebenso vermittelt wie der Standplatzbau im Rahmen der Dreierseilschaft. Erste erfolgreiche Schleicher ohne krampfhafte Festkrallversuche an nicht vorhandenen Griffen hoben die Stimmung der Truppe zunehmend, was die frisch verbandelten Pärchen zu unzertrennlichen Kletterpartnern machte; so wurden beispielhaft Andi und Anja nicht nur in ihrer Beziehung sondern auch klettertechnisch an diesem und an den Folgetagen zu einem eingeschworenen Team.
Die Kletterkünstler mussten allerdings nach ca. vier Stunden ihrer hohen Lernbereitschaft und Ausdauer insoweit Tribut zollen, als dass sich Durst und Hunger in ausgeprägter Form einstellten. So entschloss man sich zu einem zügigen Rückzug zum immerhin ca. zweieinhalb Kilometer entfernten Campingplatz. Dort fand man sich nach dem Besuch der Sanitäranlagen zu einem gemeinsamen Besuch des Campingrestaurants ein. Die Preise für eine Pizza Margeritha und ein Gläschen Wasser trieben dem einen oder anderen - schwäbische Wirtshauspreis Gewohnten - Schweißperlen auf die Stirn, aber die entsprechende Schockstarre wurde anschließend beim eigens importierten Fläschchen Vino Rosso am Strand der Maggia gelöst.
Kurz vor Mitternacht suchte jeder seinen Schlafplatz, teils im, teils außerhalb des Zeltes auf.
Am nächsten Morgen wurde das zu keinem Zeitpunkt organisierte, in allen Belangen improvisierte Frühstück zubereitet, und siehe da - der Steintisch in der Nähe der Sanitäranlagen war so reich und liebevoll gedeckt, dass er das Frühstücksbuffet jedes europäischen Fünf-Sterne-Schuppens in den Schatten stellte.
Pünktlich auf die Minute um die am Vorabend seitens der "Chefin" autokratisch festgelegten Zeit war Abmarsch zum Einstieg der „Quarzo“ am Sperone de Ponte Brolla, dem Plaisir - Klassiker der Schweiz schlechthin. Ein zweiter Möchtegern-Vorsteiger war schnell gefunden, so dass es nun daran ging, das frisch Erlernte in einer echten Wand umzusetzen.
Die ersten sechs Seillängen zeichnen sich durch plattige Reibungskletterei aus; hier konnte man also tatsächlich genau den frischen Lernstoff in praxi testen. Am schwierigsten gestaltete sich das Seilmanagement in der Birgit- und insbesondere frauenfreien Seilschaft - hier kann man einen der Vorzüge des femininen Geschlechts erkennen.
In der Einstiegsplatte kann auf die Route „Zombi, vai dove vuoi 4c“ ausgewichen werden, was wir auch taten - diese ist etwas einfacher, aber angeblich weniger abwechslungsreich als die originale "Quarzo". Die Absicherung entspricht ungefähr der Qualität von B12 - Routen...
Die anschließenden sechs Seillängen konzentrieren sich an einem steileren Pfeiler. Die Kletterei vollzieht sich im Tessiner Gneisplatten-Stil und sehr schön strukturiertem Fels. Der zweite, steilere Teil bietet vorwiegend großgriffige Pfeilerkletterei, in der Schlüsselseillänge (6a, technisch 5b) an einer riesigen, fantastischen Quarzader.
Nach ca. sechs Stunden hatten wir am frühen Nachmittag unser Ziel erreicht und genossen die Aussicht auf das schöne Maggiatal. Nachdem die mitgebrachten Vorräte an Wasser, Riegeln und anderen gesunden Unanständigkeiten - leider ohne Verdauungs- / Gipfelschnaps(!) - aufgebraucht waren, trat man den seitens Birgit als nicht gerade plaisirmäßig angekündigten Abstieg an. Die Chefin sollte Recht behalten - angenehm ist anders.
Die Belohnung erwartete uns am Strand - ein kühles Bad, teils "puro" (verraten wird nix) in der Maggia; schöner geht nicht.
Für das Abendessen hatte sich die Anführerin etwas Besonderes ausgedacht: einen Ausflug nach Cannobio am Lago Maggiore, nicht ganz ohne historische Wurzeln und nicht ganz frei von gewissen Erinnerungen an eine schöne Begegnung...
Direkt auf der Seepromenade des Lago Maggiore Pasta zu speisen - jetzt verstehen wir die Bedeutung des "dolce vita"!
Birgit verlegte die obligatorische Nachbesprechung unkonventionell aber sinnigerweise auf diesen Abend vor, so dass das entsprechende Resümee in die Entscheidung für das Ziel des nächsten und letzten Tages miteinfließen konnte. Allein, Amateurpromenadeakrobaten und Kellner unterbrachen die Ansprache der Tourenleitung an der einen oder anderen Stelle, was aber der Souveränität ihrer didaktisch geprägten und diplomatischen Ausführungen keinen Abbruch tat.
Am nächsten Tag fuhren wir nach dem Abbau der Zelte und unserem Plaisir-Frühstück Richtung Gotthard, um dem Staugespenst ein Schnippchen zu schlagen. Aber natürlich sollte noch geklettert werden.
Wir steuerten die Region Leventina an und fanden nach kurzer Recherche unseren Ausgangspunkt zwischen Faido und Lavorgo unterhalb der Kirche San Martino.
Eine Route mit dem Namen "ZZ" in der Schwierigkeit 5b / 4c erschien uns als Abschlusstour passend, und so mischten wir die Karten bzw. Kletterer neu. Allein ein Spielpärchen blieb unzertrennlich - richtig: Anja und Andi.
Für die sieben Seillängen des unteren Abschnitts der Tour benötigten wir drei Stunden, so dass wir wieder unseren Vortagesschnitt erreichten bzw. sogar leicht unterschritten. Auch diese Route war geprägt von Gneisplatten, so dass wir am Ende des Wochenendes entweder die Liebe zu Platten gefunden hatten oder wussten, worauf unsere entsprechende Abneigung beruht!
Lando Huber-Denzel
Info-Box "Quarzo" am Sperone di Ponte Brolla
Wo? | Tessin (CH) |
Talort | Ponte Brolla |
Anreise | Via Gotthardt oder San Bernardino auf die A2nach Süden, Ausfahrt Bellinzona Süd (Nr. 47) Richtung Locarno, Valla Maggia |
Wegverlauf/Etappen | Von Ponte Brolla nach Norden, an der Kunstschmiede und einem Schießstand vorbei, auf einem kleinen Pfad steil durch den Wald nach oben (Steinmännchen) zu den Einstiegen. 11-12 SL, je nach Einteilung. Abstieg zu Fuß durch eine zum Teil feuchte Schlucht südlich der Route. Gutes Schuhwerk! |
Hütten |
Campingplatz „Piccolo Paradiso“ in Avegno www.camping-piccoloparadiso.com +41 91 796 15 81 |
Anforderungen | Klettern 6a, 5b obligatorisch |
Karten/Führer |
Schweiz Plaisir Süd, Filidor Verlag SAC Kletterführer Tessin und Moesano |
Hinweis | An Feiertagen wie Ostern, Pfingsten oder Himmelfahrt oft großer Andrang! |